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Archive for the ‘Leben’ Category

Komm! Ins Offene, Freund!

In Leben on Februar 6, 2010 at 16:21

Jetzt mal ganz ehrlich. Wer hat denn den Mumm in persönlichen Dingen das zu sagen, was er meint? Sind wir zu ängstlich dazu? Nicht, wenn wir die uns dazu zwingenden Umstände wichtig genug finden. Aber wenn der Zwang nicht groß genug ist sind wir Strom, nehmen den Weg des geringsten Widerstands. Meinetwegen. Soll ja auch in Ordnung sein, dass wir den stoisch nachgiebigen Elektroden nachmachen.  Wer seinen Willen zu jedem Preis durchsetzt hat auch verloren.  Jeder hat seine guten Gründe, Angst zu haben.

Was stört mich also daran?  Mich stört, dass wir nichts sagen wenn uns nichts dazu zwingt – besonders dann, wenn uns die Sache an sich wichtig genug ist. Wir warten zu lange bis wir die Schnauze aufzumachen. Wir warten, bis wir uns sicher sind, dass wir das Vertrauen, die Zuneigung, den Respekt, oder sonst was des Gegenüber – Sachen, die wir im Zweifelsfall nie besessen haben – durch unsere Aussprache nicht verlieren können. Aber wer weiß das schon im Voraus. Ich nicht. Aber ich glaube trotzdem, dass man mit Warten eher den Verlust riskiert, als dass man ihn abwendet.

Die andere Version ist, dass wir warten, bis eine Nichtigkeit zu einem Problem wird. So eine Nichtigkeit, bei der wir schon vorher Angst hatten, dass sie sich zu einem Problem entwickelt, weshalb wir das Ganze lieber nicht zur Sprache bringen. Im Endeffekt geht es, vermeintlicher Weise, um Schadenbegrenzung. Aber eigentlich sind wir wie Menschen, die nicht zum Arzt gehen, weil sie leichte Krankheitsanzeichen nicht ernst nehmen, dann aber in den Wartesaal kriechen, wenn die Schmerzen sie dazu zwingen. Man müsste Hypochonder sein. Zumindest eher das, als dessen Gegenteil.

Le malade imaginaire

Jetzt könnte man für absolute Offenheit plädieren. Aber die gibt es in den scheinbar innigsten Beziehungen nur selten, wenn nicht nie. Abgesehen davon wäre das Wahnsinn. Wittgenstein hat (in einem anderen Kontext, aber ich möchte es hier zweckentfremdeln) gesagt: „wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Das ist auch richtig, nur bei manchen Dingen wünschte ich, wir seien mutig genug um zu erkennen, dass wir über Einiges doch reden können.

Autobahnen, Farbpigmente & Computer

In Leben on November 5, 2009 at 15:59

Sonntagmorgen in der Dusche, blaue Tinte auf dem Arm, die man versucht abzureiben, wer kennt das nicht? Aber welcher normale Jugendliche denkt dabei, noch betrunken, an Auschwitz? Ich, jedes Mal.

Mucha - Tanz

Morgen lasse ich mich tätowieren, groß, den halben Rücken voll, bis meine Haut nicht mehr kann, blutend die Farbe abstößt. Insgesamt drei Sitzungen, in denen mir ein Mucha unter die Haut gebracht wird. Ich liebe Mucha, liebe Jugendstil, weiß auch, dass mich mein Tattoo immer an etwas Gutes erinnern wird, selbst wenn ich das Motiv nicht mehr mag. Der Tätowierer ist einer der Besten, das ganze wird ein Kunstwerk, und trotzdem sträubt sich etwas in mir: Mein Großvater ist mit seinem Tattoo auf dem Arm im KZ verreckt.

Ist das ein Problem? Eigentlich nicht – und doch. Ich würde mir ja auch keinen Judenstern auf die Jacke nähen. Das Elend von so vielen Leuten als Modeaccessoire tragen kann ich, will ich nicht. Aber mache ich mit dem Tattoo dasselbe? Die Idee ist doch absurd – klar, wenn es eine Nummer auf dem Arm wäre, in blauer Tinte – aber ich mache mir diese Gedanken, und weiß nicht warum. Ich überlege ja auch nicht, ob ich auf der Autobahn fahren soll, oder nicht. Vielleicht ist das meine Art zu gedenken. Vielleicht ist es noch vielmehr meine Art dem zu gedenken, weil ich es trotzdem mache. Aber vielleicht vergesse ich damit auch, überschreibe mein Gedächtnis und damit auch die Geschichte, die ja nur in unseren Köpfen lebt. Wie ein Computer, der die gelöschten Daten, die trotzdem noch auf seiner Platte, will sagen: in seiner Erinnerung, vorhanden sind vernichtet, wenn er sie überschreibt. Davor habe ich Angst.

Aber der Termin steht, ich habe entschieden, dass ich beides kann, mit dem Kopf nach hinten gerichtet nach vorne schreiten. Der Klaps auf den Hinterkopf, den ich mir dabei hole, morgens in der Dusche, am Wochenende, bleibt.